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Gem. § 3 Nr. 2 IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Bekanntwerden der Information die öffentliche Sicherheit gefährden kann.
Das IFG übernimmt mit dem Schutzgut der öffentlichen Sicherheit einen gefahrenabwehrrechtlichen Begriff und dessen etablierte Definition.1 Die IFG-Begründung zählt daher die anerkannten Teilschutzgüter der öffentlichen Sicherheit auf: die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der grundlegenden Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates sowie die Unversehrtheit von Gesundheit, Ehre, Freiheit, Eigentum und sonstigen Rechtsgütern der Bürger*innen.2
Ausweislich der Gesetzesbegründung entsprang die Formulierung dem Wunsch, auch Individualrechtsgüter über § 3 Nr. 2 IFG zu schützen.3 Ein öffentliches Interesse lässt sich für den Erhalt gewichtiger Individualrechtsgüter sicher bejahen. Am Beispiel des § 8 Abs. 1 Nr. 1 UIG zeigt sich hingegen, dass sich deren Schutz auch mit einer entsprechenden Formulierung („bedeutsame Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit“) erreichen lässt. Es besteht keine Notwendigkeit, die gesamte Rechtsordnung zu erfassen.4 Für die meisten amtlich vorliegenden Informationen ist ein Missbrauch auf dem Niveau eines Gesetzesverstoßes denkbar und die Rezeption der gesamten Rechtsordnung droht, dem IFG seine eigenständige Bedeutung zu nehmen.5 § 3 Nr. 2 IFG trägt damit das Potential einer uferlosen Generalklausel in sich.6 Das widerspricht auch der grundrechtlichen Rückbindung, die der Informationszugang durch die Rechtsprechung des BVerfG erfahren hat.7 Die bewusste Übernahme des gefahrenabwehrrechtlich konturierten Schutzguts lässt für die gebotene restriktive Auslegung aber keine Angriffspunkte.8
Spielraum für eine enge Auslegung bietet nur die Gefahrenschwelle.9 Der Informationszugang ist ausgeschlossen, wenn das Bekanntwerden die öffentliche Sicherheit gefährden kann. Der ordnungsrechtliche Grundbegriff für das Vorliegen einer Gefahr sieht eine Sachlage oder ein Verhalten vor, das bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein geschütztes Rechtsgut schädigen wird.10 Der Schutzumfang der Norm wird reduziert, indem eine konkrete Gefahr als Voraussetzung für die Gefährdung i. S. d. § 3 Nr. 2 IFG verlangt wird.11 Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in einem Einzelfall bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein geschütztes Rechtsgut zu Schaden kommen wird.12 Die Verdichtung zu einem Einzelfall erfolgt über die Konkretisierung des Ereignisses in Hinblick auf Art, Ort, Zeitpunkt und personelle Beteiligung. 13 Die einzelnen Dimensionen müssen nicht genau bestimmbar, die Modalitäten des potentiellen Schadenseintritts aber zumindest eingrenzbar sein.14 Das bedeutet für den IFG-Zusammenhang, dass eine Gefährdung i. S. d. § 3 Nr. 2 IFG vorliegt, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass das Bekanntwerden der Information in absehbarer Zeit zu einer Schädigung der geschützten Rechtsgüter führen wird.15 Das BVerwG will bei der Konkretisierung allerdings nicht auf die antragstellende Person abstellen.16 Je höherrangig das betroffene Rechtsgut und je größer der mögliche Schaden, desto schwächer darf das Wahrscheinlichkeitsurteil ausfallen.17 Trotzdem wird die abstrakte Eignung, die Information zur Verletzung eines der geschützten Rechtsgüter zu verwenden, meist an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts scheitern.18
§ 3 Nr. 2 IFG ist eine Vorschrift mit weitem Tatbestand, dem auf Rechtsfolgenseite kein Ermessen gegenübergestellt wurde. Der informationspflichtigen Stelle obliegt es, die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Schädigung darzulegen.19 Ihr steht dabei kein Beurteilungsspielraum zu.20 Die Behörde trifft insofern eine Prognoseentscheidung, die vollständig gerichtlich überprüfbar ist.21
Das OVG Berlin-Brandenburg hat die erstinstanzliche Rechtsauffassung bestätigt, dass der Zugang zu Konditionen und Höhe von Exportkreditgarantien für Überwachungstechnologien nicht aufgrund § 3 Nr. 2 IFG mit der Begründung abgelehnt werden darf, die Rechtsgüter der Mitarbeitenden im Empfängerland könnten dadurch einer konkreten Gefährdung ausgesetzt werden.22
Bei einem Antrag auf Zugang zu Unterlagen über Maßnahmen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zur Korruptionsbekämpfung sah das OVG Berlin-Brandenburg § 3 Nr. 2 IFG allerdings erfüllt.23 Es bestehe die konkrete Gefahr strafbarer Handlungen, da das Bekanntwerden als korruptionsanfällig identifizierter Stellen deren Mitarbeitende vermehrt Korruptionsversuchen aussetzen könne.24
Trotz ihres Umfangs wird insgesamt selten auf die öffentliche Sicherheit als Ablehnungsgrund zurückgegriffen. Das weist auf die große Reichweite der anderen Ausnahmetatbestände hin. Nur in Fällen des Informationszugangs zu dienstlichen Telefonnummern von Jobcenterangestellten musste das BVerwG bisher die hauptsächlich auf § 3 Nr. 2 IFG gestützte Ablehnung entscheiden.25 Es befand, der Informationszugang sei gem. § 3 Nr. 2 IFG ausgeschlossen, weil das Bekanntwerden der Information die Umgehung der eigens für die Bearbeitung telefonischer Kommunikation installierten Servicecenter ermögliche.26 Die unmittelbare Erreichbarkeit der einzelnen Mitarbeitenden könne zur Störung sowohl bei der Erledigung von Verwaltungsvorgängen als auch bei Beratungsgesprächen mit persönlich anwesenden Personen führen und so die konkrete Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen auf den Arbeitsablauf der Jobcenter begründen.27 Die öffentliche Sicherheit sei daher in Form der Funktionsfähigkeit und effektiven Aufgabenerfüllung staatlicher Einrichtungen betroffen.28
Kritik an dieser Rechtsprechung muss schon an der Aufnahme der Funktionsfähigkeit als Teilschutzgut der öffentlichen Sicherheit ansetzen. Die Funktionsfähigkeit darf mangels Bestimmbarkeit gerade nicht in den Schutzumfang hineingelesen werden.29 Zu leicht ist sonst die Erhöhung lästigen Bürger*innenverhaltens zu einer Verletzung des Schutzguts.30 Es ist einzusehen, dass die Verletzung einer Organisationsentscheidung dazu führen kann, dass die gesetzlich vorgesehenen Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden können. Verwaltungsinterne Abläufe sind aber nicht per se von der öffentlichen Sicherheit erfasst.31 Damit würde die Selbstdefinition der Behörde zum Teil des Schutzguts werden.32 Der Behördenablauf muss vielmehr in einem Maß gestört sein, das die gesetzlich vorgesehene Aufgabenwahrnehmung in erheblicher Weise erschwert. Vor allem im Kontext der Informationsfreiheit kann nicht jeder bloße Nachteil für die Verwaltung schon eine ausreichende Beeinträchtigung darstellen, da sonst gerade das Ziel, die Behördentransparenz zu erhöhen, unterlaufen würde.33 Wenn die Durchwahlnummern der Sachbearbeiter*innen in den Jobcentern bekannt sind, können sie direkt kontaktiert werden. Es droht schon keine vollständige Umgehung der Telefonstruktur, denn Erstanrufende oder Personen, die sich über die Zuständigkeit unsicher sind, werden ohnehin den Weg über das Servicecenter wählen.34 Die Sachbearbeiter*innen, die aktuell nicht für Anrufe von außen zur Verfügung stehen, sei es aufgrund eines persönlichen Gesprächs oder zur Erledigung von Verwaltungsvorgängen, werden auch für das Servicecenter nicht erreichbar sein und Anrufe im Allgemeinen blockieren. Es ist daher nicht einzusehen, wie eine Störung zustande kommen soll, die geeignet ist, die effektive Aufgabenwahrnehmung der Behörde zu unterbinden oder wenigstens erheblich zu erschweren.35 Der Großteil der Verwaltungsgerichte hatte das bereits erkannt.36
Die Gewährleistung einer geordneten Erfüllung der dienstlichen Aufgaben der informationspflichtigen Stellen sieht das BVerwG direkt als Regelungsziel des IFG und stellt dabei auf die Gesetzesbegründung zu § 11 IFG ab.37. Zumindest der Ausgleich zwischen Informationszugang und geordneter Erfüllung dienstlicher Aufgaben ist Zweck des IFG. Eine Aussage über die Reichweite des Begriffs der öffentlichen Sicherheit kann dem aber nicht entnommen werden.
Das BVerwG hat sich weiterhin der Sichtweise des BayVGH angeschlossen, dass neben der Funktionsfähigkeit der Jobcenter auch die Gefährdung der Individualrechtsgüter (Gesundheit, Ehre) der Mitarbeitenden zum Ausschluss des Informationszugangs gem. § 3 Nr. 2 IFG führt.38 Auch wenn sich Mitarbeitende der Jobcenter vermehrt Drohungen ausgesetzt sehen, ist nicht einzusehen, inwiefern die Veröffentlichung der Durchwahlnummern solchen Taten erst die Gelegenheit bietet.39 Tätliche Angriffe können über das Telefon nicht ausgeübt werden und sind nicht mehr adäquat kausal der Herausgabe von Durchwahlnummern zuzuordnen.40
Es fehlt auch an Empirie zur missbräuchlichen Verwendung solcher Telefonlisten, um die Prognose einer konkreten Schädigungsgefahr zu begründen. Viele Jobcenter veröffentlichen die Durchwahlnummern einzelner Mitarbeiter*innen oder zumindest der Leistungsteams.41
In allgemeinerer Hinsicht zeichnet diese Rechtsprechung das Bild von Bürger*innen als der Verwaltung gegenübergestellten, fürsorgebedürftigen Konsument*innen.42 Die Beteiligung im Verwaltungsverfahren erfüllt eine Informations- und keine Diskursfunktion,43 sodass sie auch nicht zweiseitig sichergestellt werden muss. Indem das BVerwG auf jegliche Verminderung von Qualität und Quantität der Verwaltungsarbeit abstellt,44 übernimmt es das neoliberale Leitbild moderner, schlanker Staatlichkeit, das „Effizienz“ im Eigeninteresse der Verwaltung zur Handlungsmaxime erklärt, den potenten Wirtschaftsbürger präferiert und Masseverfahren (insbesondere zur sozialen Sicherung) durchrationalisiert.45 Der Wunsch nach Erreichbarkeit jener Mitarbeiter*innen, die bereits über Sachkenntnis des persönlichen Falls verfügen, als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu stilisieren, verfestigt diese an den Obrigkeitsstaat erinnernde Asymmetrie von Bürger*innen als verfügbarkeits- und mitwirkungspflichtig und der unerreichbaren, auch innerhalb eines Bearbeitungsvorgangs nicht zwangsläufig personalidentischen Verwaltung.46
§ 3 Nr. 2 IFG umfasst auch die Schutzgüter des § 3 Nr. 1 lit. c IFG („Belange der inneren oder äußeren Sicherheit“).47 Da „nachteilige Auswirkungen haben kann“ i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 IFG wie eine Schutzgutgefährdung interpretiert wird, bleibt § 3 Nr. 1 lit. c IFG neben § 3 Nr. 2 IFG ohne eigenständigen normativen Regelungsbereich und ist überflüssig.48
In den Informationsfreiheits- und Transparenzgesetzen in Berlin, Hamburg und dem Saarland findet die öffentliche Sicherheit keine Erwähnung.
§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 IZG SH lässt nur bedeutsame Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, entgegenstehen und sieht zusätzlich eine Abwägung zwischen Geheimhaltungs- und Bekanntgabeinteresse vor.49
§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 6 BbgAIG fordert erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit, um den Informationszugang abzulehnen.
Am 1. Januar 2023 trat das sächsische Transparenzgesetz in Kraft und sieht ebenfalls eine Erheblichkeitsschwelle vor. Die öffentliche Sicherheit kann dem Informationszugang nur dann entgegenstehen, wenn das Bekanntwerden der Information sie nicht unerheblich gefährden würde, § 5 Abs. 1 Nr. 13 Alt. 3 SächsTranspG.
§ 3 Nr. 2 BremIFG schließt den Informationszugang aus, wenn und solange die öffentliche Sicherheit durch Bekanntwerden der Information gefährdet werden kann.
RLP TG § 14 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 und § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. e ThürTG verweisen ebenfalls ohne Einschränkung auf die öffentliche Sicherheit als entgegenstehenden Belang. Sie nennen Regelbeispiele, was jedoch für die Reichweite der Definition ohne Bedeutung ist.
§ 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 LIFG BW und § 82 Nr. 2 lit. b Alt. 2 HDSIG schließen den Zugang für Informationen aus, deren Bekanntwerden nachteilige Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit haben kann. Die Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen ist regelmäßig im Sinne einer Schutzgutgefährdung zu interpretieren,50 sodass sich kein Unterschied zur Bundesregelung ergibt.
§ 3 Nr. 2 IZG LSA stimmt wortgleich mit der Bundesvorschrift überein.
§ 5 Nr. 4 IFG MV und § 6 lit. a IFG NRW gehen noch einen Schritt weiter und führen die umstrittene Rechtsfigur der öffentlichen Ordnung als entgegenstehenden Belang auf. Der Ausschluss erfolgt nur soweit und solange die Ausschlussgründe vorliegen. Es bedarf dafür eines neuen Antrags.51 Da für die Behörde durch eine adäquate Innenorganisation (Wiedervorlagesystem) ein im Vergleich zu Bürger*innen erheblich geringerer Prüfaufwand besteht, wird die gesetzliche Verpflichtung zur Gewährung des Informationszugangs bei Wegfall des Ablehnungsgrundes gefordert.52
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